Persönliche Gedanken
Persönliche Gedanken
Josef Metternich
(2.6.1915 - 21.2.2005)
Einige Gedanken und, von ihm selbst erzählte, Anekdoten über einen großen Sänger, wundervollen Menschen und großartigen Lehrer:
Josef Metternich war mein erster und wichtigster Lehrer, ohne ihn wäre ich nie Sänger geworden, Er hatte eine große Anzahl von Schülern, die für lange oder kürzere Zeit bei ihm waren. Wie bei jedem Pädagogen gab es solche, die mit seiner Methode gut und solche, die damit weniger gut zurecht kamen, aber die Liste derer, die viel von ihm gelernt haben, ist lang:
Mechthild Gessendorf, Eike Wim Schulte, Soto Papoulkas, Carol Malone, Michael Ebbecke, Katarina Ikonomou, Ludwig Baumann, Raimund Nolte, Sophia Larson, Stella Kleindienst, Matthias Hoelle, Ruthild Engert, Wicus Slabbert, Oskar Hildebrandt, Philip Kang, Guido Goetzen, Wolfgang Koch, Gerd Grochowski, Jonas Kaufmann, Christoph Strehl, Cornelia Kallisch, Donald George, Michael Volle und viele, viele andere, bei denen ich mich entschuldigen muß, sie hier nicht genannt zu haben.
Mario del Monaco erzählte seinen Schülern, daß sie, sollten sie einen Lehrer suchen, der eine echte Italienische Methode des Gesangs lehren würde, nicht nach Italien, sondern nach Deutschland und zu Josef Metternich gehen müßten.
Kein deutscher Sänger, außer vielleicht Josef Schwarz eine Generation früher, hatte eine solch "italienische" Stimme: männlich, gerundet und ausgewogen, dunkel und metallisch zur selben Zeit, von der Tiefe und der satten Mittellage her aufgebaut, mit brillanten Spitzentönen und einem Legato, dass jedem großen Sänger gleich welcher Zeit und Nationalität zur Ehre gereichen würde.
Auffallend und manche störend ist vielleicht, dass er öfter atmen musste als viele andere Kollegen. Dies hatte wohl mit einer schweren Lungenerkrankung zu tun, an der er in den ersten Jahren seiner Karriere litt, und die ihn zwang, diese für zwei Jahre zu unterbrechen.
Metternich entstammte einfachen Verhältnissen. Er wuchs in Hermühlheim, einem kleinen Ort zwischen Köln und Bonn, auf. Der Vater sang gerne und hatte, wie Metternich erzählte, eine sehr schöne Stimme, es wurde viel Musik gehört und gemacht. Josef Metternich selbst spielte Geige, ein Instrument, dass ihm einige Jahre danach sehr zugute kam, als er das Geld für seinen Gesangsunterricht in diversen Tanzkapellen verdiente.
Auch Metternich´s jüngerer Bruder wurde später ein sehr erfolgreicher Sänger.
Schon sehr früh erkannte man die außergewöhnliche Stimme Metternich´s und so sang er in diversen Männerchören mit. Auf Vermittlung eines Sangesbruders bekam er ein Vorsingen an der Bonner Oper und wurde mit 19 Jahren in den Opernchor aufgenommen, ohne jemals Gesangsunterricht gehabt zu haben. Später wechselte er in den Kölner Opernchor.
Schnell bekam er kleinere und teilweise sehr anspruchsvolle Rollen wie Schaunard oder den Heerrufer zu singen.
1939 kam er nach Berlin und erhielt bei Paul Neuhaus, einen Lehrer, den er auch später sehr bewundert hat, seinen ersten regulären Unterricht. Zwei Jahre später bekam er einen Vertrag an das Deutsche Opernhaus. Dort sang er vor allem kleinere Partien. Die Chancen schnell Karriere zu machen waren gering. Zu viele gute und etablierte Kollegen besetzten das erste Fach.
So folgte er dem Rat, an ein kleineres Haus zu gehen, um das erste Fach singen zu können. Er ging 1944 nach Wiesbaden. Dort sang er gerade einmal zwei Vorstellungen, dann wurde der „totale Krieg“ erklärt und alle Theater geschlossen. Kaum hatte er begonnen, war schon wieder alles zu Ende!
Dem Wehrdienst entging Metternich dank seiner Lungenkrankheit.
Er zog wieder nach Berlin, nahm weiter Unterricht und jobbte, unter anderem auch als Verkäufer in einem Schuhgeschäft.
Dort kam eines Tages Henk Noort, ein hervorragender holländischer Tenor, der heute vor allem wegen seines Stolzing in Toscanini´s Salzburger „Meistersingern“ bekannt ist, vorbei. Einige Jahre zuvor hatten Metternich und er eine Rundfunkproduktion in Köln gemacht. Noort vermittelte Metternich ein Vorsingen bei Michael Bohnen, der gerade Intendant an der Städtischen Oper, dem Nachfolgehaus des Deutschen Opernhauses, geworden war. Bohnen selbst war einer der bedeutendsten deutschen Sänger mit einer großen, sehr flexiblen, ausdrucksmächtigen Stimme, dazu ein hervorragender magnetisierender Darsteller. Er wurde auch „der deutsche Schaljapin“ genannt.
Bohnen engagierte Metternich sofort und wurde zu einer der wichtigsten Personen in Metternich´s früher Karriere. Metternich erzählte, dass er ohne Bohnen nie gelernt hätte, einen richtigen Schritt auf der Bühne zu machen.
Dazu kam noch der für Metternich glückliche Zustand, dass nach dem Krieg die Karten im Opernhaus neu gemischt wurden. Die Alliierten ließen alle Sänger des Hauses vorsingen und befanden, dass Metternich von allen Baritonen die beste Stimme habe und die großen Partien bekommen solle. Der Weg war gemacht.
In den nächsten Jahren kamen in Berlin die großen Partien des italienischen Fachs, aber auch schon eine Partie wie der Mandryka in „Arabella“.
Metternich sang auch oft an der Berliner Staatsoper, wo er die Sopranistin Liselotte Losch kenn und lieben lernte.
Liselotte Losch war Koloratursopran und die Nachfolgerin Erna Berger´s an der Staatoper. Auch sie wurde später eine sehr erfolgreiche und gesuchte Lehrerin. Sie hat Metternich noch ein paar Jahre überlebt und starb 2011.
Für Metternich folgten schnell die großen europäischen Opernhäuser wie die Wiener Staatsoper, die Scala di Milano oder das Royal Opera House Covent Garden.
Leo Blech, ein wunderbarer Dirigent, den Metternich sehr bewundert hat, erzählte ihm eines Abends, dass Rudolf Bing, der Manager der Metropolitan Opera, in Berlin weile und die abendliche Vorstellung besuchen wolle. Er, Blech, sei sich sicher, dass Bing, sobald er Metternich höre werde, ihn sofort nach New York verpflichten würde. Und so kam es: Bing bot ihm gleich am nächsten Morgen einen Vertrag für die MET an.
Dort war es, so kurz nach dem zweiten Weltkrieg, für einen Sänger deutscher Nationalität nicht möglich, in einem anderen als dem deutschen Repertoire aufzutreten. So wurde Metternich offiziell vor allem für Wagner und Strauss engagiert, aber Bing riet ihm, auch noch einige italienische Partien wie Tonio, Carlos in La forza del destino oder Renato - in Italienisch - einzustudieren, das weitere würde sich dann schon ergeben.
Zu den Zeiten von Josef Metternich´s Laufbahn wurde natürlich alles auf Deutsch gesungen. Metternich lernte also fleissig, "line-by-line", da er kein Wort Italienisch sprach und geeignete Sprachlehrer damals in Berlin wohl eine eher rare Spezies waren, die Gesangstexte.
Als Metternich in New York ankam, wurde der grosse amerikanische Bariton Leonard Warren vor einer Vorstellung von Verdi´s "La forza del destino" krank und musste kurzfristig absagen (was freilich schon Monate vorher abgesprochen war). Bing trat vor den Vorhang und erklärte, dass der einzige Ersatz, den er in der Kürze der Zeit finden konnte, ein gewisser Herr Metternich aus Deutschland sei, der zufälligerweise die Partie im Repertoire habe und auch bereit sei, die Vorstellung zu retten.
Der Abend war ein Erfolg und so wurde Metternich auch im italienischen Repertoire an der MET für einige Jahre heimisch.
Er erzählte, dass er in New York nach einer Premierenfeier noch als Nazi beschimpft, beleidigt und angespuckt worden sei.
Richard Tucker, der großartige amerikanische UND jüdische Tenorstar der MET, der mit ihm vorher noch auf der Bühne gestanden hatte, nahm ihn daraufhin in den Arm und verkündete laut, dass dies hier sein Freund Josef Metternich sei und wer Metternich beleidige, beleidige auch ihn. Danach hatten sich die Diskussionen, zumindest in Metternich´s Fall, erledigt.
Amerikanische Freunde erzählen, dass sich Metternich nicht gegen die große Konkurrenz von Merrill, Warren, Bastianini, Gobbi, Guerrera, Valdengo oder Silveri habe durchsetzten können und so nach drei Spielzeiten nicht mehr engagiert worden sei.
Das halte ich für nicht sehr wahrscheinlich, da im von ihm ebenfalls bestrittenen deutschen Fach die Konkurrenz, zumindest stimmlich, nicht so stark war und die Kritiken für ihn hervorragend waren. Vor allem aber hat Metternich selbst erzählt, dass Ferenc Fricsay ihm für die Bayerische Staatsoper in München einen langjährigen Vertrag angeboten habe und dieser nicht mehr mit den New Yorker Verpflichtungen zu vereinbaren gewesen sei.
Er nahm den Vertrag an und blieb bis zum Ende seiner Karriere an der Bayerischen Staatsoper. Seine Frau und er bauten in Feldafing am Starnberger See ein wunderschönes geräumiges Haus. Das Nachbargrundstück erstand einige Jahre später Metternich´s Bariton Kollege Wolfgang Brendel.
Metternich sang sehr oft auch an der Hamburger Oper und dem Deutschen Opernhaus in Berlin.
1965 erfolgte die Anfrage, ob sich Metternich vorstellen könne, eine Professur an der Musikhochschule in seiner Heimat Köln anzunehmen.
Er nahm an und wurde einer der gesuchtesten deutschen Gesangslehrer. Alle anderthalb Wochen pendelte er später mit seinem Citroën zwischen seinem Wohnort Feldafing und Köln hin und her.
Erst 1990 beendete Metternich aus Altersgründen seine Lehrtätigkeit in Köln, unterrichtete aber bis zu seinem Tod weiter in seinem Haus.
Er war ein unermüdlicher und unerbittlicher, aber auch großzügiger und warmherziger Lehrer. Nicht selten kam man heiser aus dem Unterricht, weil man eine Phrase noch und noch probieren musste, bis sie letztendlich dann an der Müdigkeit scheiterte. Am nächsten Tag war aber immer alles wieder in Ordnung und das Ganze hatte einen nur weiter gebracht.
Metternich war sicherlich als deutscher Bariton im italienischen Fach einzigartig. Seine vielen Querschnitte, die er für die deutsche EMI gemacht hat zeugen davon. Noch höher schätze ich einige seiner Rundfunkproduktionen ein. Vor allem seine diversen Rigolttos und traviatas, sowie der Luna im Trovatore unter Ferenc Fricsay´s Leitung, sind glänzend gelungen. Am allerbesten ist vielleicht der Macbeth in einer Aufführung von 1950 aus Berlin mit Martha Mödl. Die große Arie im letzten Akt kann man nicht von vielen Sängern so hören, wie das Metternich an diesem Abend zustande bringt.
In all diesen Aufnahmen kann jedoch vielleicht die deutsche Sprache als Handicap gewertet werden. Die einzige italienisch gesungene Gesamtaufnahme, die ich kenne, ein „ballo in maschera“ von der MET zeigt Metternich trotz vieler wunderschöner Phrasen und Töne nicht ganz in Bestform. Auch ist sein Italienisch doch sehr unbeholfen.
So sind seine allerbesten Aufnahmen dann doch vielleicht die des deutschen Faches. Vor allem die Opern von Richard Strauss hat kaum jemand so gesungen wie er. Die brauchen genau die Metternich eigene Mischung aus stimmlicher Potenz und Opulenz, strömendem Legato, der wunderbar freien Höhe, seiner Textverständlichkeit und seinem Textverständnis. Ich finde seinen Jochanaan, seinen Mandryka und Barak großartig.
Aber auch sein Telramund, Pizarro, Kurwenal, sein Besenbinder oder die Aufnahmen populärer Stücke und die zumeist für den Rundfunk aufgenommenen Operettenproduktionen können jedem Vergleich standhalten.
Seine berühmteste Aufnahme überhaupt ist vielleicht die der „Spiegelarie“ aus Offenbach´s Hoffmann, die alle seine Tugenden exemplarisch vereint.
Er war ein wundervoller Mensch und Lehrer, warmherzig, humorvoll und großzügig, niemals eifersüchtig auf andere Sänger oder sauer, wenn man auch einmal zur Weiterbildung zu einem anderen Gesangspädagogen gegangen ist.
Kurz vor seinem Tod bin ich noch einmal zu Josef Metternich nach Feldafing gefahren, um mit ihm zu arbeiten. Und nach lehrreichen und schönen Gesangstunden bei einigen anderen Kollegen war es ein Gefühl, als ob man nach langer Zeit der Abwesenheit wieder in seine Heimat zurückkommt und frische, unverbrauchte Luft atmet, die man so lange nicht mehr genossen hat, als ob seine Methode, seine Art Gesang zu lehren, einfach - für mich - richtig war.

Metternich´s Grab auf dem Friedhof in Feldafing